„Albert und das Ziel der Organisation – Romanentwürfe“

„Ich verstehe euch Menschen nicht. Unter all seinen Geschöpfen hat Gott uns Vernunft und die Fähigkeit zu denken gegeben. Mein Gott! Wenn du dich nicht um uns kümmertest, warum hast du uns dann diese Kraft verliehen?“Das muss einen Grund haben. Sieh dir diese Menschen an! Sie halten sich für wichtig und besonders. Wer seinen Verstand nicht nutzt, ist kaum besser als ein Tier – wie könnt ihr euch da für wertvoll halten? Das begreife ich einfach nicht. Sie betäuben sich mit Alkohol, berauschen sich, flüchten in andere Welten, weil so viele von ihnen das Denken fürchten. Sie wenden sich ab von der einzigen wahren Stärke der Menschheit: der Vernunft. Diese affenhaften, unentwickelten Wesen, die ihr Potenzial verschwenden, wagen es, von Rechten und Freiheit zu faseln. Ihr seid alle erbärmliche Kreaturen. Doch wir werden unsere Mittelmäßigkeit erkennen und das Beste für die Zivilisation tun. Die Menschheit muss sich stets weiterentwickeln und voranschreiten, denn die Zukunft ist voller Möglichkeiten.“

Albert musterte nach seiner Rede aufmerksam die Mitglieder der Organisation und die Reaktionen in ihren Gesichtern. Einige wirkten gleichgültig, andere schienen nur darauf zu warten, was als Nächstes gesagt werden würde oder welche Pläne es gab. Doch Albert, der sich nach Kritik sehnte, scannte die Menge intensiv mit seinen Augen. Vor allem die Meinungen derer, die das Rückgrat der Organisation bildeten, und der erfahreneren Mitglieder waren sowohl für ihn als auch für die Ideale der Gruppe von entscheidender Bedeutung. Er ballte die Hand zur Faust, führte sie an seinen Mund und hustete leicht. Er räusperte sich und sagte:
„Nun, lieber Frederick! Ich möchte deine Gedanken dazu hören. Schließlich bekleidest du als stellvertretender Leiter eine wichtige Position.“

Frederick war groß, breitschultrig, mit markanten Gesichtszügen und durchdringenden, doch zugleich ruhigen Augen, die bei seinen Gegenübern Anspannung erzeugten. Er strich sich mit der Hand durch sein dunkelbraunes, gewelltes Kurzhaar und bewahrte seine gewohnte Gelassenheit. Mit übereinandergeschlagenen Beinen saß er da, die Hände auf den Knien gefaltet. Bevor er selbstsicher und würdevoll zu sprechen begann, zeigte er sein charakteristisches Lächeln, dann flossen die Worte aus seinem Mund:
*„Deinen Ausführungen im Großen und Ganzen nicht zuzustimmen, ist schlicht unmöglich, lieber Albert! In deiner kurzen Ansprache hast du einen unserer Grundsätze – die Vernunft – treffend zusammengefasst. Du hast auch eine wichtige Säule unserer Ideologie, des Albrechtismus, angesprochen: den Potentialismus. Doch um es ganz offen zu sagen: Das war ziemlich oberflächlich und banal. Wir müssen den Menschen effektiv vermitteln, was unsere Motivation ist, damit sie sich freiwillig unserem edlen und erhabenen Ziel anschließen. Ein Mensch sollte wissen, wofür er kämpft – sonst, was bedeuten seine Opfer dann überhaupt? Wie ich bereits erwähnt habe, vertrete ich hier eine friedlichere Seite. Ich bin der Überzeugung, dass wir niemanden durch Angst und Unterdrückung führen können. Unser Ziel ist komplexer und unterscheidet sich grundlegend von dem der Neo-Nazis oder des Türkisch-Polnischen Pakts – und im Vergleich zu ihnen brennen wir leidenschaftlicher dafür. Ihr stimmt mir da sicher zu. Die Neo-Nazis wollen nur durch Sozialdarwinismus und andere primitive Ideale Europa dominieren. Wir jedoch müssen uns in jeder Hinsicht von ihnen abheben und unseren eigenen ethischen Anspruch den Überlebenden aufzwingen. Siehst du das nicht auch so, Belinda?“*

Belinda stand wie immer emotionslos, ohne den Hauch eines Gefühls im Gesicht, hinter Alberts rechter Schulter, die Hände in die Hüften gestemmt. Ihr pechschwarzes, glänzendes Haar war wieder zu einem Pferdeschwanz gebunden, und ohne auch nur einen Funken ihrer Ausstrahlung zu opfern, warf sie Frederick einen Blick aus ihren bernsteinfarbenen Augen zu. Sie öffnete leicht den Mund, und die Worte kamen:
„Ich stimme Albert zu. Es war eine gute Rede. Natürlich gibt es Verbesserungspotenzial. Aber ich verstehe nicht, warum du so ein widerliches Wort wie ‚banal‘ verwenden musstest, Frederick.“

„Ah, liebe Belinda! Kritik bringt die Menschen weiter, nicht Lob.“


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