Was ist eine Dystopie?
Ich bin sicher, dass viele von Ihnen diesem Begriff bereits in verschiedenen Lebensphasen begegnet sind. Ob im Freundeskreis, in der Schule oder durch die Popkultur – dieses Wort ist allgegenwärtig. Doch was bedeutet „Dystopie“ wirklich? Einige mögen antworten: „Das Gegenteil einer Utopie“ oder „Die Darstellung einer schlimmen Zukunft“. Eine umfassendere Definition wäre: Eine Dystopie ist die Beschreibung einer unwahrscheinlichen, unerwünschten und gefürchteten Zukunft, oft geprägt von einer totalitären Weltordnung. Zwar gilt sie als Antithese zur Utopie, doch wie diese präsentiert sie ein unwahrscheinliches Gesellschaftsmodell. Der Begriff „Dystopie“ wurde erstmals von John Stuart Mill verwendet. Man könnte sie auch als Subgenre der Science-Fiction betrachten, denn berühmte Dystopien spielen stets in einer fernen Zukunft.
Wie sieht eine dystopische Welt aus?
Betrachtet man bekannte dystopische Werke, so stößt man meist auf unterdrückerische Staaten oder Regime. Diese extrem autoritären und tyrannischen Systeme schränken jede Art von Menschenrechten ein und machen das Leben zur Hölle. Natürlich nehmen wir Leser das so wahr. Die Charaktere innerhalb der Romane jedoch haben sich entweder an dieses System gewöhnt oder sind zu seinen Sklaven geworden. Für die Bevölkerung stellt die Autorität des Staates kein Problem dar. Propaganda ausgesetzt zu sein, wie ein Roboter zu leben und die eigene Menschlichkeit zu verlieren – all das ist für sie normal. Solange sie am Leben sind, ist der Rest unwichtig.
An dieser Stelle tritt der Protagonist auf, derjenige, der das System infrage stellt und sich daran stört. Er erkennt, dass etwas falsch läuft. Im Laufe der Geschichte findet er Gleichgesinnte, sie organisieren sich, kritisieren das System und diskutieren, was sie tun können.
Leser, die zum ersten Mal ein solches Werk lesen, verfolgen die Handlung gespannt – doch diese Aufregung ist vergeblich, denn das Ende steht von vornherein fest. Keine Dystopie endet gut, meine Freunde! Tatsächlich haben viele Science-Fiction-Klassiker kein Happy End: Entweder gibt es ein tragisches Ende, oder der Autor lässt die Geschichte offen. Zumindest muss man sich also keine Sorgen um Spoiler machen. Meist folgen die Werke einem ähnlichen Handlungsmuster und vermitteln dieselbe Botschaft. Was sich unterscheidet, sind die Charaktere und das Universum. In einigen ist die Technologie hoch entwickelt, in anderen sind die Staaten extrem repressiv, wieder andere kritisieren die Jugend der Zeit. Am Ende scheitert der Protagonist kläglich, stirbt oder wird bestraft. Manchmal lässt der Autor uns auch mit einem unklaren Ende zurück.
Unerfahrene Leser mögen noch glauben, dass die Charaktere etwas bewirken oder zumindest ein halbwegs erträgliches Ende erreichen können. Doch leider sind Dystopien nicht wie andere literarische Werke. Die Hauptfigur kann das System nicht ändern – stattdessen wird sie entweder bestraft oder passt sich ihm an. Das einzige Werk, das mir als Ausnahme bekannt ist, heißt „Kallokain“(von Karin Boye). Hier arbeitet der Protagonist von Anfang an für das System, statt gegen es zu kämpfen. Doch selbst in diesem Buch bleibt das Ende offen.
Berühmte Beispiele
Es gibt vier besonders bekannte Dystopien, die auch als „Schwarze Vier“ bezeichnet werden:
- „Wir“ (Jewgeni Samjatin)
- „Schöne neue Welt“ (Aldous Huxley)
- „Fahrenheit 451“ (Ray Bradbury)
- „1984“ (George Orwell)
Doch die Liste geht weiter: „Kallocain“, „Uhrwerk Orange“, „Die Eiserne Ferse“, „Herr der Fliegen“, „Macht Platz! Macht Platz!“ und viele mehr. Ohne Zweifel ist „1984“ die berühmteste von allen. Interessanterweise gilt „Wir“ als die erste echte Dystopie, während „Schöne neue Welt“ immer wieder Diskussionen auslöst – ist es nun eine Dystopie oder doch eine Utopie?
In „Kallocain“ und „Uhrwerk Orange“ brechen die Protagonisten mit dem klassischen Heldenbild: Sie sind keine Lichtgestalten, sondern zutiefst problematische Figuren. „Fahrenheit 451“ entlässt uns mit einem offenen Ende – wird Montag je Erfolg haben? Wir werden es nie erfahren. Was geschah mit Bernard Marx in „Schöne neue Welt“? Starb er im Exil? Gab er das Fragen vollends auf? Und was wurde aus Winston und Julia? Bestand die Welt wirklich nur aus drei Superstaaten?
Solche unbeantworteten Fragen bleiben im Kopf des Lesers, kehren immer wieder und fordern ihn heraus.
Kommen wir zum Punkt
Jedes der oben genannten Bücher verdient einen eigenen Artikel – und über zwei davon habe ich bereits geschrieben. Einige wurden sogar verfilmt und können online angeschaut werden. Jedes Werk besticht zudem durch faszinierende und einzigartige Charaktere. Ich hoffe, ich habe eines Tages die Gelegenheit, auf alle näher einzugehen.
Doch für heute sollte diese kurze und prägnante Einführung in die Welt der Dystopien genügen. Bis zum nächsten Artikel!
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